DER GEFANGENE
Ich habe Madonna nie gemocht. Ich glaube, sie hat sich auch nie gemocht.
Wer mag sich?
Ich war nie in einem Punkkonzert, obwohl ich meinen Stand bei den anderen verbessert hätte.
Ich trenne den Müll-aber ungern. Ich tue es heimlich. Manchmal, wenn ich wieder gegen die ‚verfettete, dumme, durchgeplante’ Welt rebelliere, schmeiße ich alles, aber auch al-les in die Haupttonne. Herrlich!
Dann fühle ich mich als Mensch.
Ich stehe an der Lebensmitteltheke von Butter Lindner und habe lange Zeit, mir was auszusuchen, die Frau vor mir ist eine von jenen Menschen, die „50 Gramm von der fetten Groben und dann noch zwei Scheiben vom ‚Schwarzwälder’ „ nehmen. Nicht zu vergessen die drei eingelegten Tomaten und die „halbe Kracherkruste“, was auch immer das ist.
So habe ich Zeit zu überlegen. Ich entscheide mich für das Schinkenbrötchen. Der Verkäufer kommt, ich sag :“ Ein Thunfischbrötchen,bitte“
So einer bin ich.
Ich habe die „AKW-nein Danke“-Bewegung niemals unterstützt. Nicht, weil ich für Atomkraftwerke war, nein ,ich war nur gegen gegen- Atomkraft.
Ich habe immer geträumt, von der großen weiten Welt, dazu die Musik von „Peter Stuyvesant“ oder „Lux“ mit Feuchtigkeitscreme. Das war die große Welt: Das Gesicht von einer berühmten Schauspielerin, dazu Bilder aus Cannes, Nizza. Grand Hotels mit Namen wie : Ambassador oder Palace. Und dann diese große Musik! Dieses zarte Cembalo ,irgendwann ,im Hintergrund, davor :Streicher. Musik aus den glorreichen Siebzigern, eine Musik, die mir von großen Zeiten erzählte, von Partys, in lauen Lüften, auf Yachten ,mit tollen Frauen (damals wusste ich, was ‚tolle Frauen’ seien, aber sie waren so schön unerreichbar). Alles roch wahrscheinlich nach „Lux“. Nach Lux – us.
Es gab sie, die „Große Welt“.
Ich sah sie. Sie wartete auf mich. Sie war für mich dahingestellt worden, sie war meine Zukünftige. Sie wartete geduldig, ich konnte mir alle Zeit lassen, die ich brauchte, sie würde warten. Ich sollte wachsen, und sollte mich gemächlich darauf vorbereiten, in diese Welt einzutreten.
Ich weiß nicht mehr, wann genau ich den Eintritt verpasste, es könnte ein Montag gewesen sein, ich hasse Montage, sie bringen nichts als Ärger und beenden den Traum von einem Leben ohne Altglascontainer.
Mir war natürlich nicht klar, dass ich soeben den Eingang in die Welt von „Lux“(mit Feuchtigkeitscreme) verpasst hatte, neinnein, das Leben ging weiter, der Dienstag musste bewältigt werden-schlimm genug (Dienstage sind nicht viel besser als Montage : sie bestätigen hämisch , dass es kein Leben ohne Altglascontainer gibt).
Ich lebte weiter.
Die Jahre vergingen und zuweilen kam mir „der Duft der großen , weiten Welt“ in die Quere.
Da wehte es mich dann an, dieses Gefühl, welches man mir später als „schwarze Galle“ erklären sollte.
Ich hab sie heute noch manchmal im Ohr, die Melodie von „Lux“ ( mit Feuchtigkeitscreme ), und heute weiß ich auch, wie die berühmte Schauspielerin hieß : Jane Seymour.
Ich träumte auch von der Liebe. Ein schöner Traum.
Um mich herum nichts als Liebe.
Ich träumte von einem selbstbestimmten Leben, von Glück in rauen Mengen, von nichts als Glück und schöner Liebe.
Klar, dass ich bald Ärger mit den Nachbarn bekam.
Dann sang ich.
Weißt Du, lieber Tag,
dass ich dich gerne hab,
dass ich dich immer so mag, auch wenn Du nach Zitrone schmeckst,
auch wenn Du die Schecks nicht deckst,
auch wenn Du nach altem Papier stinkst anstatt nach „Lux“
auch wenn Du mir Hamster bringst, anstatt ’nen Fuchs,
Wenn Du nicht da bist ist alles umsonst,
damit das mal klar ist : wenn Du nicht bald kommst,
dann mach ich das Licht aus, und dann kommt die Nacht.
Weißt Du, lieber Tag,
was ich besonders mag,
ist die Stunde vor acht,
bevor das Leben erwacht,
das Leben, oder das, was wir draus machen,
denn( um ) kurz nach sieben, bin ich einfach liegen geblieben,
hab von Nizza geträumt, vom Candlelight und von ’ner Yacht,
von den Dingen, die man in Nizza auf Yachten so macht,
und da spürte ich es, das große Gefühl,
es wehte hinüber, aus dem Traumgewühl,
es roch nach Lux mit Feuchtigkeitscreme,
es klang wie Träume klingen zudem,(angenehm)
und Träume klingen nach Cembalo,
ich lag also da ,kurz nach sieben ,und war mächtig froh.
Weißt Du, lieber Tag,
dass ich ganz furchtbar erschrak,
als ich das Cembalo durch Frauenhaare wehen sah,
als die Yacht samt candlelight am Ablegen war,
als das große Gefühl den Hafen von Nizza verließ?
da wurde ich traurig und zwar über dies:
Gefühle, die legen an, die legen ab,
ihre Liegezeit ist äußerst knapp,
und eines morgens, so kurz nach sieben,
sind sie auch nicht liegen geblieben.
Ich sah ihnen nach und dachte so:
das Boot ist weg, das Cembalo,
die Frauenhaare sowieso,
was bleibt, ob hier, in Nizza oder Prag,
bist Du ,geliebter ,lieber ,liebster , Tag.