Er spielte Überzeugungstäter, exzentrische Monarchen und ostpreußische Landjunker. Er ist Sänger und Pianist, liebt den Jazz und hat sich den seinen Beruf einst von ganz unten erschlossen – als staubsaugende, Karten abreißende Allround-Bühnenkraft in einem Kreuzberger Off-Theater. Der 1963 in West-Berlin geborene Tonio Arango, Sohn einer deutschen Mutter und eines kolumbianischen Vaters, sagt von sich selbst, dass er seine künstlerische Energie lange Zeit daraus geschöpft hat, gegen den Schauspielbetrieb zu rebellieren. „In meiner Ausbildung empfand ich stereotype Maßregelungen wie `das tut man nicht` oder `das würde DER nie machen` als extrem unproduktiv. Ich wollte mich nicht nach irgendeiner Norm dressieren lassen. Kein Wunder, dass ich so oft angeeckt bin.“
Stromlinienförmiges Karriere-Denken stand sicher nicht auf der Agenda von Arango, der nicht zuletzt im erfolgreichen ZDF-Zweiteiler „Die Flucht“ als Heinrich Graf von Gernstorff bewiesen hat, dass er seine Rollen mit einer ganz besonderen Kraft und Imagination ausstattet. „Aus dem Drehbuch von `Die Flucht` konnte ich herauslesen, dass diese Rolle jene fatale preußische Haltung verlangt, die letztlich in die Katastrophe geführt hat. Dazu gesellte sich natürlich das Handwerkliche wie etwa der Reit-Unterricht in der zweimonatigen Vorbereitungsphase. Der große Rest blieb meiner Fantasie überlassen.“
Tonio Arango hat keinen einfachen Weg gewählt, bis er 1997 im Polit-Thriller „Opernball“ erstmals eine Hauptrolle in einer größeren Produktion übernehmen konnte. „Produzent Bernd Eichinger und Regisseur Urs Egger suchten damals einen Typen, der die Rolle eines überzeugten Sektenführers, der zum Terroristen wurde, glaubwürdig verkörpern konnte. Letztlich fiel die Wahl auf mich. Eichinger meinte nur `der macht das schon`“. Arango machte. Und gab der Figur des Joe genau jenen manischen Kick, der diesen im Film zum Massenmörder werden ließ. Damit legte Er letztlich den Grundstein für seine Reputation als Charakter-Kopf mit Ecken und Kanten.
Eigentlich wollte er ja Jazzer werden, damals in den Achtzigern im eingemauerten Westteil Berlins. Doch nachdem er als Schüler mit dem klassischen Klavierspiel aufhörte, schwebte seinem allein erziehenden Vater etwas Solideres vor. Für Tonio Arango kein Thema. Nach dem Abitur blieb für ihn allein die Perspektive des Entertainers. „Ich habe das viel mehr als Berufung und keineswegs als möglichen Beruf empfunden“ erzählt er. Und das bedeutete für ihn schlichtweg: Durchschlagen und das Ziel nicht aus den Augen verlieren. „Zum Geldverdienen habe ich für einige Jahre gekellnert und später für 30,- Mark pro Abend in einer kleinen Bühne bei Ingrid Kaehler in der Schwiebusser Straße in Berlin-Kreuzberg gespielt. Aus heutiger Sicht war das meine Basisarbeit, doch von großen Perspektiven konnte damals keine Rede sein.“
Diese kamen erst nach der bestandenen Prüfung am Max-Reinhard-Seminar in Wien, wo Tonio Arango sich ein ums andere Mal mit seinen Dozenten anlegte und dafür sogar sein Diplom auf Spiel setzte. In bester Erinnerung geblieben ist ihm dagegen „die wunderbare Marianne Mendt“. Seine Jazz-Lehrerin, die genauso wie sein österreichischer Musikerfreund Michael Starch seine Leidenschaft für Off-Beats und Synkopen förderte. „Ich verfolge die deutsche Szenerie nun seit über einem Jahrzehnt, wie sich etwa Till Brönner entwickelt hat, der mit meinem Lieblings-Sänger Mark Murphy zwei Alben gemacht hat. Auch seine Zusammenarbeit mit der späten Hildegard Knef schätze ich sehr. Ich habe diese Frau verehrt und ihre Musik immer gehört.“ Dass er es „als Rebell, den viele schon abgeschrieben hatten“ dann doch ohne Umwege in eins der letzten Ensembles der alten Berliner „Schaubühne“ schaffte, empfindet Arango heute als Genugtuung und kleinen Triumph. Über sein Vorsprechen sagt er: „Ich spielte Peer Gynt mit dem Bewusstsein, dass ich es allen Skeptikern gezeigt hatte.“
Den Dreiklang Theater, Film/Fernsehen und Musik verfolgt Arango seit seinen ersten Engagements mit wechselnden Schwerpunkten weiter. Von seinen TV-Rollen ist ihm vor allem die Figur des exzentrischen Bayern-Königs Ludwig II. aus dem RTL-Movie „Sophie – Sissi´s kleine Schwester“ aus dem Jahr 2000 in Erinnerung geblieben. „Ein Historienstoff, dem ich durch meine Ludwig-Interpretation einen ganz besonderen Dreh gegeben habe“ sagt Tonio Arango und schmunzelt. Auch in der Welt der Unterhaltung sucht er stets nach dem Außergewöhnlichen. „Natürlich ist mir klar, dass es nicht nur exaltierte Charaktere gibt, sondern auch Rollen, bei denen man den Ball flach halten muss. Doch das ist eine andere Herausforderung.“
Seine vielfältigen Fähigkeiten zusammenbringen, konnte Tonio Arango zuletzt im Spätsommer 2006, als er für drei Monate im Ensemble des Züricher Musicals „Wünsch dir was“ spielte; nach einem Buch der Schriftstellerin Sybille Berg, die für Arango seit der Zusammenarbeit im Jahre 2000 für ihr Stück „Helges Angst“ am Schauspielhaus Bochum zur guten Freundin geworden ist. Mit Regisseur Niklaus Helbling („Helges Angst“) spielte Arango in der Folgezeit auf verschiedenen deutschsprachigen Bühnen. Von der Hauptrolle in „Krazy Kat“ in Zürich bis zum Tasso in Goethes „Torquato Tasso“ am Kölner Schauspielhaus.
Mit dem großen Publikumserfolg von „Die Flucht“ sieht sich Tonio Arango gewappnet für neue Aufgaben. Für ein „Mini-Comeback“, ein Neustart jenseits der Vierzig. Mit dem Bewusstsein, dass es manchmal etwas länger dauert, seine Überzeugungen durchzubringen. „Im kommenden Hamburger Tatort „Investigativ“ übernehme ich neben Robert Atzorn und Ursula Karven die Rolle des bad guy“, sagt Arango. „Ein notorischer Kiez-Gangster, der auf der authentischen Vorlage eines libanesischen Unterwelt-Clans basiert. Durchaus ein Thema mit Zündstoff.“ Ein Job für Tonio Arango.